Nachhaltigkeit ist für viele Unternehmen ein erfolgskritischer Faktor. Aber wie können Führungskräfte das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen aktiv unterstützen und vorwärts bringen? Ich habe Markus Kristen, dessen Passion Nachhaltigkeit ist, dazu interviewt.
Markus Kristen, magst du dich kurz selbst vorstellen?
Ja, gerne. Ich bin Unternehmensberater, das ist der große Übertitel und arbeite mit Führungskräften als Coach, als Change Begleiter in der Transformation hin zur Sonne, zum nachhaltigen Zukunftsunternehmen. Ich sitze hier in Lüneburg bei Hamburg. Vorher war ich als Unternehmer tätig, habe ein Startup gegründet, aber letztlich bin ich seit 17 Jahren als Coach, Trainer und Berater unterwegs.
Meine Tochter ist jetzt 19 und mein Sohn 14. Die beiden sind so Fridays for Future Kids. Also da kommt auch das Thema Nachhaltigkeit ins Spiel und auch in der Generationenfolge. Meine Eltern sind beides Biologen. Das heißt, das Thema Nachhaltigkeit hat mich als Kind schon viel beschäftigt. Und ich habe auch mal Umweltwissenschaften in England studiert. Das heißt, das Thema begleitet mich immer. In den letzten Jahren hatte ich zunächst in anderen Change-Themen gearbeitet, also z.B. Kulturentwicklung. Aber mit dem 50 Jahre alt werden habe ich beschlossen, ich werde mein Berufsfeld auf das Thema Nachhaltigkeit anwenden und Unternehmen in dieser anstehenden Transformation unterstützen.
Du hast ja schon erläutert, welche Wege dich zur Nachhaltigkeit gebracht haben. Gibt es noch was ganz Konkretes?
Wie gesagt, der Weg hat schon viel früher begonnen. Mit zehn Jahren durfte ich ab und an zu Kongressen meines Vaters mitfahren. Und ich erinnere mich immer noch an ein Bild aus seinem Vortrag zu Ökologie, wo Menschen auf einem Floß saßen und an ihrem Floß das Holz abgesägt haben, um darauf ein Feuer zu betreiben, auf dem sie dann gekocht haben.
Und das war so ein Bild von diesen endlichen nicht regenerativen Ressourcen, die wir Menschen verheizen. Das war 1980, und da war das Thema mit Club of Rome an sich schon längst bekannt. Und ich erinnere mich, dass ich da von Hoimar von Ditfurth “Lasst uns ein Apfelbäumchen pflanzen“, so ein Öko Buch, damals 10 Stück gekauft habe und allen Leuten das zum Geburtstag geschenkt habe.
Das war eben so der Kern und eine Freundin von mir sagte Markus, also entweder wirst du Manager oder Öko. Es gab immer diese beiden Herzen in meiner Brust. Dann habe ich zuerst ein Unternehmen gegründet, Abenteuer Camps – Umwelt pädagogische Erlebnisreisen mit Kindern. Wir haben versucht dieses Naturerleben und das Verständnis für die Ökologie den Kindern näher zu bringen, mit Klassenreisen, aber auch an Firmen Standorten.
Dann bin ich aber später in die Unternehmen reingegangen, als Executive Coach und Führungskräfte-Entwickler und Change Begleiter. Und jetzt ist an sich so der Zeitpunkt für mich gekommen, wo diese zwei Herzen wieder zusammenkommen. Ich arbeite mit Leuten, die viel entscheiden können in den Firmen und Gründern, die viel gestalten können oder Inhabern und neuen Führungskräften, die auch diese Nachhaltigkeitsidee initiieren können in den Teams. Jetzt ist auch einfach die Dekade, wo wir die Gelegenheit haben, das hinzukriegen. Und da läuft ein bisschen die Zeit ab, das wissen wir alle und und da bin ich einfach total inspiriert und habe ganz viel Spaß daran jetzt auch anzupacken und andere Leute mitzunehmen, zu inspirieren, zu beraten und zu begleiten.
Was genau machst du mit den Managern und den Unternehmen?
Ich arbeite mit verschiedenen Methoden. Das ist dann das Coaching, die Führungskräfteausbildung und dann eben Change Begleitung. Neben den klassischen Themen wie Ausbildungen zur Führungskraft, Konflikte lösen, Motivation und Veränderung begleiten usw. kommt auch das Thema Nachhaltigkeit, zum Beispiel bei Führungskräfteentwicklungstrainings, auf und ich frage die Führungskräfte: „Hey, euer Unternehmen hat eine Nachhaltigkeitsstrategie, die in diesem Fall auch recht ambitioniert ist, wie zahlt ihr da eigentlich auf die Ziele ein, die das Unternehmen sich da setzt und den Change, den das Unternehmen durchführen will?”
Zuerst mach ich dann eine kleine Umfrage und das ist schon echt beeindruckend. Das sind alles clevere junge Führungskräfte. Da stell ich dann die Frage: „Kennt ihr die Nachhaltigkeitsstrategie eures Unternehmens?” Da ist dann vielleicht einer von zehn, der die kennt. „Hat sich schon mal jemand den Bericht angeschaut?” „Ich wusste nicht, dass wir einen haben.” Wie könnt ihr dazu beitragen?
Einige Vorstände in den Unternehmen, die sind schon monetär auch verzweifelt nach Nachhaltigkeitszielen und wollen das an sich runterbrechen in ihren Organisationen. Aber das kommt unten noch gar nicht an. Viele Teamleiter fragen sich, wie soll ich jetzt auf Nachhaltigkeit einzahlen? Papier sparen oder was? Sie kommen dann mit den Kollegen ins Denken und fragen sich, welche Rolle spielen wir denn eigentlich? Und dann gibt es eben den Geschäftsbetrieb des Unternehmens, der andere Bereich ist die Lieferkette, das andere sind die Produkte oder Services. Und überall steckt das Potenzial für Nachhaltigkeit drin.
Chad Frischman, sein Buch Drawdown kann ich nur empfehlen. In seinem Buch wird geschaut, wo sind denn die Potentiale, in diesem Fall dann für CO2-Einsparung? Und er sagt: “Every job is a climate job.” Das zu verstehen und zu entdecken ist dann zum Beispiel Thema im Führungskräfte Training. Im Bereich Executive Coaching geht es dann viel um die Ausrichtung, das ist ja ein riesen Change, viele Leute waren vorher in einer bestimmten Logik drin. Man hat eine bestimmte Kultur vorangetrieben.
Und jetzt gilt es, sich neu zu verorten mit dem aktuellen Wissen. „Was sind für mich die relevanten Daten, an denen ich mich orientiere? Sind es die vom IPCC, die Klimadaten, die Wissenschaftler herausgeben? Was heißt das für meine Branche? Woran orientiere ich mich und auch die eigenen Werte. Klärung ist wichtig. Wer will ich sein in der aktuellen Zeit? Muss ich da auch Verantwortung übernehmen für das Unternehmen?”
Ganz viele Unternehmen geraten jetzt ja auch geradezu unter richtigen Druck durch die neuen Gesetzgebungen, wie das Klimaschutzgesetz und durch die EU im Rahmen des New Deals kommt jetzt 2023 das erste Berichtsjahr, wo man die neue Corporate Sustainability Reporting Direktive umsetzen muss. Dann muss man eine Nachhaltigkeitsstrategie und ein Reporting Center haben und das setzt natürlich ganz viele Führungskräfte unter Druck. Die Zahlenwerke sind noch gar nicht da oder die KPIs und das Controlling dahinter.
Das letzte Feld, in dem ich unterwegs bin, ist dann die Change Begleitung. Ein Team von Führungskräften habe ich gerade bei einem Bankenzusammenschluss beraten. Sie wussten aber nicht genau wo und nach welchem Framework und wie sie berichten wollen. Und dann erstmal zu klären, „Was heißt denn für uns jetzt überhaupt Nachhaltigkeit? Also das eine, was müssen wir machen? Und das andere, was wollen wir machen?” Im Gespräch muss erstmal geklärt werden: „Was bedeutet das? Welche Verantwortung wollen wir übernehmen, wie wollen wir als Führungsteam da rangehen und dann gilt es einen Change-Prozess aufzusetzen. Wie kann der am besten gelingen? Und welches Ambitionsniveau nimmt man sich dann auch vor, um iterativ vorzugehen?”
Wo ist denn da bei den verschiedenen Feldern für die Führungskräfte oder die Organisation das größte Gap, wo du sagst, da ist der Sprung echt weit?
Es geraten jetzt viele in Hektik, da sie jetzt von alleine liefern müssen, alleine von der Compliance her. Und da entdecken viele jetzt gerade einen großen Gap. Dann haben sie vielleicht noch nicht ausreichend Erfahrung, wie sie den Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen oder wo sie die Zahlen überhaupt herbekommen können. Selbst wenn jetzt 2023 für viele das erste Berichtsjahr nach der neuen Gesetzgebung sein wird, nach den neuen Standards laufen sich die Schlauen natürlich jetzt schon warm und fangen an das schon umzusetzen, auch für 2022. Das heißt, da ist ein großer Gap, was das anbelangt.
Und dann ist da natürlich diese Transferleistung. Also, ich habe dann diese jungen Führungskräfte zum Beispiel auch gefragt, weil ich so irritiert war, dass viele sagten: „Ja, nee, wir kennen die Nachhaltigkeitsstrategie nicht und wir wissen gar nicht, wie wir dazu beitragen können.”
Da dachte ich zuerst, das ist denen vielleicht auch nicht so wichtig. Dann habe ich sie in der Mittagspause vom Seminar angesprochen. Und dann sagten sie: „Nee, uns ist das Thema total wichtig, aber mehr so privat. Wir sind noch gar nicht drauf gekommen, wie wir das in unserer Führungsrolle umsetzen können.” Da ist echt noch ein Gap und ich habe dann auch mal die eine oder andere Sustainability Managerin aus Lüneburg im Unternehmen kontaktiert und gefragt. „Warum nehmt ihr eure Führungskräfte da nicht mit?” So, und dann waren die wiederum total erstaunt und haben bei sich wieder ein Gap festgestellt, dass das Thema bisher ja gar nicht in die Weiterbildung der Führungskräfte eingegangen ist oder auch nicht in die Kommunikation im Unternehmen.
Viele Unternehmen kommunizieren ja gerade die Transition zu eher einer agilen Organisation und verändern die Kultur und die Arbeitsformen und Frameworks. Und dann muss es an sich auch analog, und da glaube ich, dass das auch als nächstes kommt, zu so einer Transformation in Richtung Nachhaltigkeit, Circular Economy und diese Themen kommen.
Was könnte ich machen, um Nachhaltigkeit als Teil der Führungskräfteentwicklung zu fördern, um in meinem Team das zu initiieren. Wo würdest du sagen, fängt man da an?
Salopp gesagt, man kann überall anfangen. Und das hängt natürlich jetzt sehr stark davon ab, welche Führungsspanne du hast, also führst du ein Team auf der ersten Führungsebene oder bist du ein Bereichsleiter, Vorstand oder Gründer und Inhaber.
Man kann von dem Kraftfeld, das man hat, nicht nur von Macht sprechen, sondern Gestaltungsmacht, sagen wir es lieber so. Die erstreckt sich natürlich sehr unterschiedlich weit. Zum Beispiel ein Executive, mit dem ich gesprochen hatte, hatte sich dann überlegt, er will auf der einen Seite inspirieren für das Thema. Also auf der Pull Seite, die Leute mitnehmen. Da ist dann eher Thema, sich einfach mit dem eigenen Team mal hinzusetzen und zu sagen, mir ist das wichtig.
Ein anderer Abteilungsleiter hat gesagt, im Gespräch nach einem Coaching von mir: „Nächste Woche präsentieren wir die Zahlen wieder und ich schalte einfach mal 10 Minuten das Thema Nachhaltigkeit vorweg, das ist mir wichtig, das kann ich machen, das kann mir keiner verbieten.” Und er sagte, es war auch lustig, die Leute waren plötzlich irritiert. „Hä? Wieso macht er jetzt plötzlich irgendwie so einen Impuls zum Thema Nachhaltigkeit?”
Der andere Executive, der da als Bereichsleiter in einem Unternehmen für mehrere Länder zuständig war, der hat dann neben dem Inspirationenteil auch Sachen umgesetzt, die er gestalten konnte. Er hat zum Beispiel gesagt, die Dienstwagen dürfen ab jetzt nicht mehr schneller als Tempo 130 gefahren werden. Das konnte gemonitort und getrackt werden und dadurch ist der Flottenverbrauch in seinem Handlungsbereich deutlich runtergegangen. Das eine sind ja die Push Faktoren, wie die Gesetzgebung, die finde ich auch wichtig. Aber das andere hat natürlich viel mehr Durchschlagskraft. Nämlich, wenn die Leute anfangen, selber nachzudenken und selbst motiviert sehen, dass sie da gefragt sind und sich Gedanken machen können. Das ist ja letztlich ein Lernprozess.
Mein persönliches Fazit nach dem Interview mit Markus Kristen zum Thema Nachhaltigkeit
Ein inspirierendes und informatives Interview mit Markus Kristen.
Hier findest du außerdem das Interview mit Markus Kristen auf Youtube.
Im zweiten Teil des Interviews mit Markus Kristen dreht sich alles um die persönlichen aha-Momente bezüglich Nachhaltigkeit und warum Nachhaltigkeit solch ein wichtiger Erfolgsfaktor im Unternehmen ist. Außerdem gibt er 2 Buchempfehlungen und Tipps, wie Führungskräfte niederschwellig mit dem Thema starten können: Interview mit Markus Kristen zum Thema Nachhaltigkeit (Teil 2).
Buchempfehlungen
Drawdown – der Plan: Wie wir die Erderwärmung umkehren können von Paul Hawken (Hg.)
Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört von Kate Raworth