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  • Interview mit Markus Kristen zum Thema Nachhaltigkeit (Teil 2) 
Dezember 17, 2021
Andrea Maria Bokler und Markus Kristen Interview über Nachhaltigkeit

Du fragst dich, wie Führungskräfte das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen aktiv vorwärts bringen können? Ich habe Markus Kristen, dessen Passion Nachhaltigkeit ist, dazu interviewt. Dies ist die Fortsetzung von: Interview mit Markus Kristen zum Thema Nachhaltigkeit (Teil 1).

 

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Gibt es für dich und deine Arbeit so einen Aha-Moment zum Thema Nachhaltigkeit? 

Ich glaube, es reiht sich so eine Perlenkette an Aha-Momente aneinander. Ich finde das ist immer wieder beeindruckend, wenn man auch so reflektiert, an welchem Punkt im Leben der Erkenntnisstand oder auch von der Haltung her sich Dinge verändern. Also zum Beispiel hab ich vor drei Jahren mein Kundenportfolio umstrukturiert. Vorher war ich auch viel für Kunden in Luxemburg tätig. Ich bin teilweise mit der Bahn gefahren oder dahin geflogen. Auch in Polen hatte ich mehrere Kunden. Ich komme ja aus Hamburg, dann Standort Hamburg bzw. Lüneburg und war dann auch in Stuttgart. Ich bin wie ein Weltmeister durch die Gegend gefahren. Es war auch schon viel Bahn.

Aber dann habe ich beschlossen, dass ich jetzt anfange meine Kunden pro Portfolio umzustrukturieren und nur noch Neukunden annehme, die in drei Stunden Bahnradius zu erreichen sind. Wenn Sachen eben ausgelaufen sind, habe ich das nicht mehr aktualisiert. Ich habe neue Kunden dann auch gefunden und bin jetzt überwiegend in Berlin, Hamburg, Hannover unterwegs.

 

Und jetzt natürlich die ganze Digitalisierung. Das finde ich auch total klasse. Ich arbeite gerne so und ich habe mich da gleich von Anfang an auch voll reingeworfen. Ich habe versucht maximal kreativ zu sein, dass das nicht öde Sessions werden, sondern dass man da wirklich viel rausholen kann. Und dann diese kleinen Aha-Momente. Neulich hatte ich auch so eine komplizierte Anreise mit dem Zug und dann dachte ich, „okay, mit dem Auto bist du echt ne Stunde schneller da, du fährst jetzt Auto” und dann hab ich mich durchgerungen: “Nein, ich fahr jetzt Zug” und dann habe ich gemerkt, wie ich so einen kleinen Aha-Moment hatte. Wie ich so auf dem Gleis stand, irgendwie stolz war und mich richtig gefühlt hab. Flugscham finde ich schwierig. Ich finde Scham ist eh keine gute Emotion, die einen nachhaltig motiviert und Kraft gibt. Aber Zug-Stolz sozusagen, fühlte sich irgendwie gut an.

 

Ein anderer Aha-Momente auf der persönlichen Ebene ist: Mit Freunden zelte ich, seitdem die Kinder klein sind, einmal im Jahr bei Bekannten. Die haben so ein Waldgrundstück mit riesigen alten Buchen. Wir haben schon in den letzten vier, fünf Jahren gesehen, dass diese riesigen Buchen Pilzbefall hatten und zum Teil abgestorben sind. Aber direkt an dem Platz im Wald, wo wir zelten, ist so eine riesige Buche. Und als ich letztes Jahr hinkam, lag das Ding in der Mitte durchgebrochen quer durch den Wald.

Vorletztes Jahr hatte ich schon gesehen, dass sie angeschlagen war. Da hab ich gemerkt, alter Schwede, das Ding ist 500 Jahre alt, und jetzt ist es soweit, dass der Klimawandel, wo wir alle mal sagen „Hey, den erleben wir hier in Nordeuropa so wenig.”, stattfindet. Aber ich erlebe ihn, ich sehe ihn, ich spüre ihn und ich war echt schockiert und traurig. Das sind solche Momente, wo ich echt merke, der Klimawandel kommt nicht, wir sind mittendrin.

 

Jetzt geht es darum, den zu verlangsamen, auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen. Die Ergebnisse von COP 26 , der Weltklimakonferenz in Glasgow, werden jetzt ja sehr viel diskutiert und dann heißt es immer: „Schaffen wir es?” Die Maßnahmen reichen gar nicht aus, das 1,5 Grad Ziel zu begrenzen. Bei dem, was beschlossen wurde, glaub ich, wenn das alles umgesetzt werden würde, sind wir eher so bei 2 Grad. Aber dabei ist nicht zu vergessen 1,5 Grad ist schon mal, auf Deutsch gesagt, richtig scheiße, Entschuldigung. Aber wir sind jetzt bei 1,25 Grad Erwärmung und haben jetzt schon diese drastischen Veränderungen auf der Welt. Nochmal 0,25 Grad verteilen sich ja auch total unterschiedlich. Also in manchen Regionen kann man bisher plötzlich plus 20 Grad in bestimmten Monaten haben, siehe Kanada.

Also von daher, das Bewusstsein zu schärfen, das ist voll im Gange und und das ist jetzt nicht irgendwie Peanuts so 1,5 Grad, sondern das ist anstrengend und super wichtig.

 

Warum ist Nachhaltigkeit so ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen?

Also für mich ist diese Diskussion immer, machen wir jetzt inkrementelle Anpassungen und ich glaube, dass ist erstmal wichtig für Unternehmen, um überhaupt weiterhin ernst genommen zu werden von den Kunden. Ich habe gerade draußen ein Plakat von einem Baumarkt gesehen, wo es hieß, “DIE nachhaltige Wandfarbe.” Das Thema ist jetzt überall. Nur weil die Sensibilität der Kunden einfach da ist. Außerdem, um sich überhaupt präsentieren zu können bei den Arbeitnehmenden, also Stichwort War for Talents, dass immer mehr junge Menschen, gut ausgebildete Fachkräfte, sich überlegen, wo will ich eigentlich arbeiten? Wozu will ich beitragen? Ich glaube, das ist so der eine Handlungsfaktor, um da überhaupt up to date zu sein als Unternehmen mit der Marke. Also bester Arbeitgeber der Zukunft wird dann auch ein Unternehmen sein, das auch nachhaltig ist. Das andere ist, Zukunftsunternehmen werden eh nachhaltig sein müssen.

 

Also zum Einen aus den ganzen Compliance Gesichtspunkten und weil die EU da über den Green Deal jetzt erst mal die Geldflüsse über Sustainable Finance leiten wird. Das heißt, da sind alle Unternehmen reportingpflichtig, auch in der Lieferkette und das bricht sich dann runter. Wenn ich jetzt irgendwie ein Hersteller von irgendwas bin, ein Zulieferer, wird mich mein Kundenunternehmen fragen, wie nachhaltig ist das, was du machst? Selbst wenn ich dazu vielleicht nicht reporten muss, weil ich unter 250 Mitarbeiter habe. Alle Unternehmen werden bestimmte Label kriegen und werden dadurch auch unterschiedlichen Zugang zum Kapitalmarkt haben. Es wird einfach teurer werden, wenn ich beispielsweise jetzt noch in der Kohleindustrie irgendwo unterwegs bin. Das heißt, da wird riesige Handlungsmotivation kommen.

 

Dann ist es aber auch schlauer, weil Ressourcen limitiert sind und wir abhängig von den Lieferketten, den Rohstoffen sind. Die scheinbar immer dagewesenen Emissionen von CO2 nehmen zu und werden einfach teurer, weil die Umweltkosten nicht mit einberechnet wurden. Du konntest Emissionen einfach rauspusten und die Allgemeinheit oder die Natur haben die Kosten übernommen. Weil dieses Denken schon überschritten und überstrapaziert ist, werden jetzt ja zum Glück diese Kosten auch mit der steigenden CO2 Bepreisung angesetzt. Das heißt, wenn du dann nicht in Circular Economy Geschichten reingehst, wirst du einfach abhängig sein, von diesen Engpässen in der Rohstoffbeschaffung, wie zum Beispiel jetzt bei der Elektromobilität. Das ist also nicht nur aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll, dass wir in der Lage sind, diese Batterien zu recyceln. Es ist einfach eine Notwendigkeit bei dieser Rohstoffknappheit.

 

 

Was wäre ein Buchtipp, den du geben würdest? 

Ja, genau Drawdown- der Plan: Wie wir die Erderwärmung umkehren können. Das finde ich gut. Das ist auf jeden Fall interessant für alle Leute, die dieses Wirtschaftssystem nochmal kritisch hinterfragen wollen. Da es natürlich dort nicht nur darum geht “Greenwashing zu betreiben”. Also nicht nur, wie nachhaltig ist jetzt diese Wandfarbe, sondern auch, was steht eben dahinter? Brauchen wir jetzt nur ein paar kleine Änderungen oder brauchen wir auch so ein bisschen ein System Change. Wie weit müssen wir das Ganze jetzt auch ein Stück anders denken.

Und da finde ich auch das Buch “Die Donut-Ökonomie von Kate Raworth” sehr interessant. Es gibt ja noch ganz andere Fragestellungen. Also, auf der einen Seite Biodiversität und andere Fragestellungen, zum Beispiel die Pufferfähigkeiten der Ozeane. Bei der Donut Ökonomie ist im Inneren des Donuts sozusagen dieses Thema, was heute immer genannt wird, leave no one behind. Also man kann jetzt nicht auf Kosten von Ländern, die jetzt im globalen Süden sind, da einfach hier weiter CO2 emittieren und dort dann einfach ein paar Bäumchen pflanzen. 

 

Wir müssen die Bildung und Ernährungssicherheit, Wassersicherheit usw. für alle auf dem Planeten erhöhen. Damit diejenigen zum Beispiel nachhaltiger wirtschaften können und vielleicht auf einen grünen Entwicklungspfad kommen und nicht auf den gleichen Entwicklungspfad nacheifern wollen, mit dem wir die Welt in diese Situation gebracht haben. Davon handelt auch das Buch “Drawdown”. ”Drawdown” ist an sich der Zeitpunkt benannt, wenn wir nicht weiter CO2 emittieren oder zu einem neutralen CO2 Gehalt kommen, sondern wenn wir sogar CO2 wieder einfangen. Microsoft zum Beispiel hat als Ziel veröffentlicht, dass es alles CO2, das durch ihre Geschäftstätigkeiten jemals, seit ihrer Gründung, emittiert wurde, auch wieder einfangen will. Aber das geht halt nicht nur um technische Maßnahmen, sondern das beziffert an sich alles. Welche Maßnahmen hätten welches CO2-Reduktionspotential? 

 

Und da tauchen dann schon interessante Sachen auf. Ich glaube auf Platz 6 oder so ist die Bildung von Mädchen und Frauen als CO2 Einsparungspotenzial. Das hat bestimmte Effekte und zum Beispiel auch unter den Top Ten ist quasi mehr Eigentum für Frauen, Kleinunternehmerinnen und Kleinbäuerinnen. Weil da festgestellt wurde, dass die regenerativer und nachhaltiger mit der Landnutzung umgehen. So verliert der Boden in einer extensiven Landwirtschaft nicht seine CO2 Speicherfähigkeit.

Solche Zusammenhänge, wo man erstmal so denkt, was hat denn das jetzt damit zu tun? Und das macht total viel Spaß, um dieses Gesamtbild mal zu verstehen, wo wir ran müssen. Das beginnt jetzt mit dem Klimathema und der Klimawandelanpassung. Das geht dann aber weiter vom European Green Deal zum Schutz der Landökosysteme, Circular Economy. Es rollt sich dann über alle Branchen und Bauwesen, den Verkehr und so weiter jetzt im nächsten Jahr aus.

 

Hättest du einen einfachen Einstieg für Führungskräfte für sich selbst oder mit ihren Teams, wie sie mit dem Thema Nachhaltigkeit niederschwellig anfangen können? 

Ich finde erstmal, Verantwortung annehmen. Und nicht Verantwortung für, sondern ich sag mal Verantwortung angesichts von. Das hat man aus dem Englischen so übernommen, als mir einer so das Bild gab. Responsibility und Verantwortung kann man an sich trennen in Response und Ability. Und sich nochmal fragen, was nehme ich eigentlich wirklich für eine Situation in der Welt wahr? 

 

Dann zu überlegen, auf welche Daten und Fakten berufe ich mich eigentlich? Ist ja heute so ein bisschen mehr die Frage: Glaube ich an die Wissenschaft? Es ist so eine Frage woran glaube ich? Ich glaube nicht an Klimawandel”, dass das Politiker von jenseits des Atlantiks so sagen konnten. Sich da erstmal zu orientieren, was sind denn meine Bezugssysteme? Und dann angesichts von, wie will ich darauf antworten. Da finde ich im Deutschen das Wort “Verantwortung” gut, wo man auch sagen kann: “verantworten”  heißt, auf welche Fragen will ich Antwort geben. Und dann kann man wieder reflektieren und sagen, worauf muss ich Antwort geben?” 

 

Also zum Beispiel diese Compliance Fragestellung. Worauf darf ich eigentlich auch Antwort geben?” Also Stichwort, der Abteilungsleiter, der jetzt einfach mal 10 Minuten nutzt für das Thema Nachhaltigkeit, wo es an sich ja sonst um ein Reporting der Finanzkennzahlen ging. Dann auf der eigenen Seite, worauf kann ich eigentlich bereits auch selber schon Antwort geben? Also sich selber weiterzubilden und zu interessieren und anzufangen, neugierig zu sein auf Nachhaltigkeitsfragestellungen und sich da weiterzubilden.” 

 

Und dann noch, auf welche Fragen will ich Antwort geben? Was ist mir wichtig?” Also zum Beispiel  im Gespräch mit meinen Kindern. Meine Tochter formuliert das dann so: Papa, ich würde mich total freuen, wenn du dich auch noch mehr engagierst, für meine Kinder und mögliche Enkel eine gute Welt zu hinterlassen.” Und mein Sohn sagt: Papa, jetzt komm mal aus dem Quark. Was machst du eigentlich da?” Und ich muss mich dann fragen, wer will ich denn eigentlich jetzt gerade sein, vor dem Hintergrund der Sachen, die ich erkenne. 

 

Das ist ja so eine beliebte Methode im Coaching, dass man sich fragt, Stell dir vor, es ist jetzt 15 Jahren in der Zukunft und es kommt ein Zeitungsreporter zu dir und du warst total erfolgreich als Führungskraft beispielsweise. Du blickst zurück auf dein Lebenswerk in Bezug auf Nachhaltigkeit. Das war ja dann im Jahre 2020/2021 voll das wichtige Thema, COP 26. Was hast du dann eigentlich daraus gemacht?” Wenn du jetzt zufrieden in den Spiegel schauen kannst, 15 Jahre weiter in der Zukunft und sagst: Jawohl, ich habe mich echt dem gestellt und hab Verantwortung übernommen”, womit wäre man dann selber zufrieden? Und aus der Perspektive dann daran zu gehen.

 

Lieber Markus, herzlichen Dank für das Interview!

 

Mein persönliches Fazit nach dem Interview mit Markus Kristen

Ein inspirierendes und informatives Interview mit Markus Kristen. 

Im ersten Teil des Interviews mit Markus Kristen dreht sich alles darum, was er genau mit Führungskräften macht, wie er zum Thema Nachhaltigkeit kam, wie Führungskräfte mit dem Thema starten können und wo noch der größte Gap beim Thema Nachhaltigkeit ist in den Unternehmen: Interview mit Markus Kristen zum Thema Nachhaltigkeit  (Teil 1).

 

Buchempfehlungen

Drawdown – der Plan: Wie wir die Erderwärmung umkehren können von Paul Hawken (Hg.)

Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört von Kate Raworth

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Dr. Andrea Maria Bokler

Über die Autorin

Ich unterstütze Führungskräfte und Entscheider dabei, wertebasiert in die Zukunft zu denken und in ihrem eigenen Leben und Unternehmen stärker wirksam zu werden.

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