Juli 8, 2024
Frau vor Wand mit Textbalken davor

Wenn ich in Firmen den Satz höre “wir sind wie eine Familie” oder auf die Frage nach den Werten “Familie” auftaucht, gehen bei mir die Alarmglocken an. Jeder von uns hat den Wunsch nach Zugehörigkeit, das wollen wir alle als Menschen und es gehört zum Menschsein. Wenn in der Rückschau erwähnt wird, dass es sich in den Anfängen der Firma wie eine Familie angefühlt hat, mag es so sein. Oft nehme ich da eine gewisse Verklärung wahr. Im Werte-Set der organisationalen Werte von Barrett-Analytics für die Beschreibung einer Organisation gibt es den Wert der Familie nicht für Organisationen – vielleicht aus gutem Grund. 

 

Joining – Belonging – Leaving

Joining Belonging Leaving

Jeder(r) Mitarbeiter:in durchläuft in einer Organisation den Kreislauf aus 

Joining

Belonging und 

Leaving

Der Punkt Leaving kann selbst gestaltet werden, durch Kündigung oder durch das Renteneintrittsalter. 

Innerhalb einer Familie gibt es einen großen Unterschied in dieser Abfolge. In der Familie gibt es in der Zugehörigkeit kein Leaving. Ein Beenden der Zugehörigkeit ist weder durch Wegzug noch durch Tod der Familienmitglieder gegeben. Auf Hessisch gibt es den Spruch, “Verwandtschaft hat man”. Das heißt, die wird man nicht los. Hier sprechen wir von einer permanenten Zugehörigkeit. In der Arbeitswelt gibt es jedoch nur eine temporäre Zugehörigkeit, die durch ein organisationales Belonging erlangt wird. 

 

Was steckt hinter dem Begriff „Familie“ im Arbeitskontext

Dass der Satz “Wir sind eine Familie” auftaucht, finde ich nicht verwunderlich. Es entspricht unserem Bedürfnis nach Zugehörigkeit – vielleicht nur am falschen Platz. 

 

Ich kann das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit gut verstehen und es gilt hier zu schauen, was der Einzelne damit meint. Beispielsweise, den Wunsch zu haben, sich im Team aufeinander verlassen zu können: Dagegen ist sicher nichts zu sagen und auch nicht gegen Zusammenhalt. Der gegenseitigen Erwartung liegt final ein „Vertragsverhältnis“ zugrunde. 

 

Wahrscheinlich braucht es zu Beginn eines Unternehmens diese Energie und Intensität. Sowie zu Beginn einer Freundschaft und einer Beziehung es die Verliebtheit mit all den positiven Projektionen gibt. Genau wie es dann zur „Ernüchterung“ kommen muss. Und damit zur Chance, einander wirklich wahrzunehmen und zu sehen.

 

Ein Unternehmen ist keine Familie

In einer Zeit, in der viele Unternehmen versuchen, die Unternehmenskultur auf eine familiäre Ebene zu bringen und von ihren Mitarbeitenden bedingungslose Loyalität erwarten, hat Netflix mit seiner unkonventionellen Herangehensweise Aufmerksamkeit erregt. Anstatt sich als Familie zu bezeichnen, sieht sich das Unternehmen selbst als professionelles Sportteam – eine Analogie, die Führungskräfte aufhorchen lässt. 

 

In ihrem Bestseller „Powerful: Building a Culture of Freedom and Responsibility“ erklärt Co-CEO Reed Hastings ausführlich, warum es wichtig ist, zwischen einem Familienunternehmen und einem Dream-Team zu unterscheiden. Bei einem Dream-Team geht es darum, sich selbst zu pushen, um der bestmögliche Teamkollege zu sein, um Leistung, nicht um Dienstalter oder Betriebszugehörigkeit. Im Blogbeitrag “durch Werte zum Dream-Team” erfährst du, wie du ein Dream-Team aufbauen kannst.

 

 

Wie steht es um meine Konfliktfähigkeit?

Meine steile These hierzu ist, dass beruflich etwas als Mitarbeiter:in gesucht wird oder als Führungskraft hergestellt wird, was privat nicht gelungen ist.

 

Wenn du in einem Unternehmen den Satz hörst: „Wir sind hier wie eine Familie“, dann nimm besser die Beine in die Hand. Oft bedeutet das nichts anderes als die Aufforderung, exorbitanten Eifer und Wohlgefälligkeit für weniger Lohn an den Tag zu legen. Wenn das so ist, dann aufgepasst! Die Idee “Wir sind eine Familie” führt zu Loyalitäten, Machtstrukturen, sich aufopfern und Jahre später oft zu schmerzhaften Erkenntnissen – und insgesamt zu keiner gesunden Unternehmenskultur. 

 

Es wäre sinnvoll, hier einen Entzauberungsprozess zum Wohl der Mitarbeiter:innen und des Unternehmens zu starten, wenn diese Verwechslung benannt wird.

Wenn für dich als Führungskraft hier einiges resoniert, dann lass uns sprechen, wie du in deinem Unternehmen Gemeinschaft herstellst und eine gesunde Unternehmenskultur entwickelst, die wachsen, blühen und gedeihen kann. 

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Dr. Andrea Maria Bokler

Über die Autorin

Ich unterstütze Führungskräfte und Entscheider dabei, wertebasiert in die Zukunft zu denken und in ihrem eigenen Leben und Unternehmen stärker wirksam zu werden.

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